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Koramu #4
Hört man japanische Entwickler über die Gewaltdarstellung in Spielen sprechen, sind sich fast alle einig, dass das heimische Publikum keine übertriebene Gewaltorgien benötigt. Oftmals werden deshalb Kleinigkeiten für den eigenen Markt verändert. So konnte Leon in Resident Evil 4 nicht geköpft werden, in No More Heroes fehlte wie auch in der europäischen Version das Blut komplett – lediglich in den USA spritze die rote Suppe übertrieben und eigentlich so von Suda 51 beabsichtigt durch die Gegend. In der amerikanischen Version von Silent Hill lauerten kleine, oftmals als Kinder-Zombies betitelte Gegner auf den Spieler, während in Japan und auch Europa dieser Gegnertyp komplett fehlte. Interessant ist dabei das eher schlechte Kane and Lynch 2: Dog Days, das zwar auch hier und da vom Gewaltgrad, ähnlich der deutschen Version, abgestuft wurde, im Gegensatz zur internationalen Fassung aber nicht den Pixelfilter in bestimmten Szenen aufweist. Das Spiel bekam wie auch Gal*Gun eine D-Einstufung. Es müssen aber nicht immer Zensuren wegen der Gewaltdarstellung sein, sei es um eine niedrigere Alterseinstufung zu erhalten, oder weil man den generellen Gewaltgrad abschwächen möchte. Auch kulturelle Unterschiede dienen manchmal zur Änderung. So änderte man Raymans Farbe von lila in blau, weil lila für den Tod steht, sagt man.
Indizierungen gibt es natürlich auch. Prominentestes Beispiel dürfte wohl das erste Dead Space sein, das in Deutschland ab 18 Jahren freigegeben war, im Land der aufgehenden Sonne aber ohne Widerworte indiziert wurde. GTA III, das damals von Capcom nach langer Verzögerung in Japan veröffentlicht wurde, wurde in zwei Präfekturen indiziert, war im Rest des Landes aber ohne Probleme käuflich erwerbbar. Im Sommer 2008 kamen Videospiele für kurze Zeit ins Kreuzverhör der Medien, als der tragische Amoklauf eines 25-jährigen Japaners in Akihabara, Tokyo, für sieben Menschen tödlich endete, zehn weitere wurden teils schwer verletzt. Der Täter sah sich selbst als Opfer der Gesellschaft, machte wenige Stunden vor seiner Tat mit einem Blog-Posting auf einer Webseite auf seine Tat aufmerksam. Er erklärte, dass er, wenn er eine Freundin gehabt hätte, niemals arbeitslos geworden wäre und niemals diese Gedanken bekommen hätte. Er verlor laut eigenen Angaben vollständig jegliche Hoffnung. Freunde, die ihm hätten helfen können, hatte er angeblich keine. Er meinte, dass er „zu hässlich“ sei, weshalb er von der Gesellschaft ignoriert werden würde. Experten ordneten diese Tat dem Hikikomori- (Menschen, die aus verschiedensten Gründen abgeschottet und aus Angst vor der Gesellschaft nicht mehr ihr Zimmer oder ihr Haus verlassen) sowie dem Internetsuizid-Kult zu. Nachforschungen der Polizei gaben weitere Einblicke in die Vergangenheit des Täters. Wie viele junge Japaner hatte auch er sich mit Videospielen beschäftigt, einiger seiner Lieblingscharaktere sogar gezeichnet. Angeheizt wurde die Diskussion, nachdem die japanischen Medien auf eine Aussage eines Users auf dem weltweiten größten Bulletinboard 2ch aufmerksam wurden, in der er die Aussage des Täters, dass am 5. Juni ein Desaster in Akihabara passieren wird, sarkastisch so interpretierte, dass der Täter auf den Release von Ninja Gaiden 2 hinwies. Durch diese Aussage entstand ein wahrer Kleinkrieg zwischen Fanboys, der sogar in den japanischen Medien behandelt wurde. Erst nachdem der 25-jährige Amokläufer vor Gericht die wahren Hintergründe für seine tragische Tat offenbarte, ließen die Medien von den Spielen ab.
Für lange Zeit wirkte die Atmosphäre in Akihabara angespannt, die unter dem Namen „Pedestrian Paradise“ bekannte Straße, welche sonntags für Autos gesperrt und ausschließlich für Fußgänger geöffnet wird, und im Juni 2008 zum Tatort wurde, wurde für Fußgänger komplett geschlossen. Launch-Events wie beispielsweise für Metal Gear Solid 4 wurden aus Sicherheitsgründen abgesagt. Letztes Jahr im Sommer gab man bekannt, dass ab Januar 2011 die Straße wieder an Sonn- sowie Feiertagen für Fußgänger geöffnet wird. Seit dem Amoklauf hat sich einiges getan: Mehr Polizisten patrouillieren durch den Stadtteil; Überwachungskameras sollen für zusätzliche Sicherheit sorgen. Auch an einer Änderung am Waffengesetz für Stechwaffen wie beispielsweise Messer (Schusswaffen sind bereits verboten, selbst normale Straßenpolizisten dürfen keine mit sich tragen) wird derzeit seitens der japanischen Regierung nachgedacht.
So sehr ich mich auch sträube das aktuelle Koramu mit solch einem traurigen Thema zu beenden, wollte ich zeigen, dass Japan nicht wie von so manch jungem Fan geglaubt, das Hyper-Techno-Wonderland ohne Probleme ist. Es zeigt aber auch deutlich, dass trotz kultureller Unterschiede und leicht anderen Problemen, gewisse Dinge weltweit doch sehr ähnlich sind. Ein Teil der japanischen Jugend sieht sich verloren, ohne Hoffnung in der Zukunft. Zwischen 1998 und 2007 hat die National Police Agency 67 ähnliche Taten verzeichnet, wobei der in den japanischen Medien als „Akihabara-Massaker“-Vorfall nach dem Zweiten Weltkrieg der schlimmste seiner Art gewesen sein soll. Die Medien titulieren diese Vorfälle sowie den Frust der jungen Japaner als „kieru“, ein Wort welches für das frustrierte, von Wut befallende handeln steht. Hikikomoris sind leider keine Seltenheit mehr, was auch auf den immensen Erfolgsdruck der Gesellschaft zurückzuführen ist, in einem Land in dem selbst der Name der Schule, trotz gleichen Abschluss, entscheidend auf dem Arbeitsmarkt ist. Wichtig ist, dass man diesen Leuten hilft, sofern sie sich helfen lassen. Hilfe zur Selbsthilfe, das ist vielleicht das Zauberwort. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass wir über solch ein Thema in absehbarer Zeit, oder besser nie wieder, diskutieren müssen.
Und damit auch meine Ankündigung: Nächsten Monat feiert Koramu seine fünfte Ausgabe. Gibt es vielleicht ein Thema, das euch besonders interessiert, oder habt ihr vielleicht eine Frage, die ihr schon immer mal dringend beantwortet haben wolltet? Oder euch interessiert einfach meine eigene Meinung zu einem bestimmten Thema, Spiel oder was auch immer? Sofern es in irgendeiner Form mit Japan oder dessen Spielemarkt zu tun hat: Schreibt in die Kommentare. Ansonsten wird der schwarzhaarige Emo-Dante aus einem meiner schrecklichen Alpträume Realität!
Wie bitte? Das war kein Traum? Ach verdammt...
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